Seyyed Mohammad Husayn Tabatabai
Einführung
Es ist eine Tatsache, dass der Islam die jüngste der Weltreligionen ist, und dass seine Anhänger quantitativ weniger sind als die Summe der Anhänger anderer Glauben, aber der Islam hat einige besondere Merkmale, die ihn von anderen offenbarten Wegen abheben. Wenn wir beispielsweise Bezug nehmen auf die Heiligen Schriften des Hinduismus, speziell die Veden, stellen wir fest, dass die darin enthaltenen religiösen Lehren nahezu ausschließlich asketischer Natur sind und dass sie gleichzeitig an eine Minderheit der Anhänger der Religion gerichtet sind. Folglichist die Mehrheit der Hindus davon ausgeschlossen, direkten spirituellen Nutzen aus diesen heiligen Büchern zu ziehen.
Der Buddhismus und auch das Christentum weisen in ihren Lehren die gleiche exklusive asketische Anschauung wie der Hinduismus auf. Im Falle des Christentums geht dies aus den vier Evangelien und den anderen grundlegenden religiösen Texten hervor. Es gibt keine praktischen Handlungsgebote oder sozialen Gesetze, und darüber hinaus wird Philosophie und rationalem Denken mit Missfallen begegnet. Das göttliche Opfer und die Vergebung der Sünden der Menschheit sind Lehren, die die Relevanz von Ermahnungen, die diese Welt betreffen, schmälern.
Andere Religionen haben entweder aufgehört, die Menschen anzuziehen, wie der Glaube der Sabäer und der Manichäismus, oder sind – wie das Judentum – auf eine bestimmte Gruppe von Menschen begrenzt. Somit ist es einzig der Islam, der rational nachweisbaren Überzeugungen und positiven individuellen und gesellschaftlichen Ermahnungen größte Bedeutung beimisst, wie diese Abhandlung hoffentlich verdeutlichen wird.
Die primäre Bedeutung des Individuums aus der Sicht der menschlichen Natur
Die menschliche Natur erstrebt nicht mehr, als ihre eigene Existenz weitgehendst zu bewahren und ihre instinktiven Neigungen zu realisieren. Wenn der erste Entwicklungsschritt des Menschen in der Bildung sozialer Gruppierungen besteht, und wenn er diese Gesellschaften bewahrt, indem er in Übereinstimmung mit ihren Gesetzen agiert und damit in gleichem Maße einen Grad seiner individuellen Freiheit aufgibt, dann geschieht dies für den Gewinn und Nutzen, den er aus einem anderen Teil ziehen kann und durch den er besser für seine natürlichen Erfordernisse und seinen Unterhalt sorgen kann. Das erste Ziel der Schöpfung ist das Glück des Individuums; das Glück der Gesellschaft folgt darauf.
Mit anderen Worten liegt der Zweck der Schöpfung in der Vervollkommnung der menschlichen Natur, und diese Vervollkommnung wird im Wesen des Individuums und nicht in seiner Gestalt erreicht. Folglich ist der Mensch für den Erhalt des Individuums auf die Bildung sozialer Gruppen ausgerichtet. Denn damit er den grundlegenden Zweck des Lebens erkennen kann, nämlich Glück und Wohlergehen, ist es notwendig, dass er einem geordneten Lebenssystem folgt, einem System, das zwangsläufig sozial sein muss. Er muss essen, trinken, sich kleiden, schlafen, ruhen, heiraten, Nachkommen zeugen, seine Bedürfnisse erfüllen und mittels des Gebrauchs seines Denkvermögens seinen eigenen Lebensunterhalt sicherstellen.
Die Wirkung der Weltanschauung auf das Handeln des Individuums
Die Form und die Merkmale dieses Ordnungssystems, dem der Mensch in seinem Leben nachfolgt, hängt von seiner Vorstellung von der Natur des Universums und seiner eigenen Natur, die ein untrennbarer Teil des Universums ist, ab. So sehen wir, dass eine Gruppe von Menschen die Existenz eines Schöpfers für die Welt nicht zulässt und sich vorstellt, dass die Welt zufällig entstanden ist, und dass der Mensch nur diese materielle Gestalt ist, die mit der Geburt Existenz erlangt und deren Existenz mit dem Tod endet. Diese Menschen organisieren ihre Lebensweise und ihre Regeln für das Leben einzig und allein mit Blick auf die materiellen Bedürfnisse ihrer vorübergehenden irdischen Existenz. Sie folgen einem Weg, der zu nichts anderem führen kann als einem begrenzten materiellen Glück und Wohlergehen.
Andererseits sehen diejenigen, die einen Schöpfer für das Universum anerkennen und glauben, dass die Regelung der Angelegenheiten der Menschen und der Welt in den Händen von “Göttern” liegt, das Leben des Menschen nicht nur auf diese materielle Existenz begrenzt an. Sie organisieren ihren Lebensstil auf eine Weise, mit der sie die Gunst der Götter anziehen und deren Zorn fernhalten wollen, um auf diese Weise Glück im Leben zu erzielen und vor unerfreulichen, aus dem Zorn der Götter resultierenden Ereignissen, sicher zu sein.
Um es noch einmal zu sagen: jene, die die Einheit Gottes akzeptieren und glauben, dass das Universum und alles, was darin ist, von dem Einen Gott beherrscht wird, der Allweise und allmächtig ist, und dass der Mensch mit dem Tod nicht zu existieren aufhört, sondern ein ewiges Leben hat, werden ihr Leben entsprechend gestalten, d. h. mit einem auf die Sicherung der Glückseligkeit in beiden Welten ausgerichteten Blick.
Es ist somit klar, dass “Religion” die Organisation des Lebens ist, und dass das nach einem Programm gelebte Leben Religion ist. Diejenigen, die versuchen, Religion und Leben zu trennen, und die behaupten, dass Religion nur leerer Formalismus sei, liegen völlig daneben. In Anbetracht dessen nennt der Islam den Weg, dem jemand im Leben folgt, “Religion”, wobei er den wahren Weg als “geraden Weg” und den falschen Weg als den “abgeirrten” oder “ungeraden” Weg bezeichnet.
Gott spricht:
” … Der Fluch Gottes sei über den Missetätern, die von Gottes Weg
abhalten und ihn zu krümmen suchen und nicht an das Jenseits
glauben.”
Sure: 7, Verse 44 und 45
Die islamische Weltanschauung
Der Islam gründet auf der Vorstellung, dass die Welt von dem Einen Gott geschaffen wurde, und dass Gott jeden ihrer Teile in Richtung der für diesen jeweiligen Teil typischen Vollkommenheit und Glückseligkeit ausrichtet. Auch der Mensch, der ewiges Leben besitzt, ist auf das für seine Natur wesensgemäße Glück und Wohlergehen ausgerichtet; und dies gewinnt er, indem er dem ihm von Gott aufgezeigten Weg folgt.
Der heilige Prophet hat seine Botschaft an den natürlichen Menschen gerichtet, d. h. der mit dem menschlichen Wesen und der gottgegebenen ursprünglichen Natur ausgestattete Mensch hat die angeborene Fähigkeit und Eignung, die oben beschriebene Weltanschauung zu verstehen. Die geringste Mahnung lässt ihn auf natürliche Weise verstehen, dass die Welt in ihrer Unermesslichkeit und Größe und ihrem vollkommenen Arrangement und ihrer Ordnung die Schöpfung eines transzendenten Schöpfers ist, dessen unendliches Sein die Quelle jeder Schönheit und Vollkommenheit ist, und der über aller Hässlichkeit und allem Übel steht. Der Mensch versteht, dass die Schöpfung der Welt und ihrer Bewohner nicht ohne Bedeutung und Absicht ist, dass dem Leben in dieser Welt ein anderes Leben folgt, und dass die guten und schlechten Taten dieser Welt nicht unbeantwortet bleiben werden. Und infolgedessen versteht er, dass es eine Lebensweise geben muss, die den Bedürfnissen des Menschen besonders entspricht, und die ihn in die Lage versetzt, seiner eigenen wahren Natur gemäß zu leben.
Die Wahl des natürlichen und ursprünglichen Menschen zum Objekt der religiösen Botschaft hat mehrere grundlegende Ergebnisse, nämlich Gleichheit, Realismus, Gleichgewicht zwischen dem Materiellen und dem Spirituellen und Wissen und Weisheit.
Das Prinzip der Gleichheit
Die islamischen Lehren treffen auf alle Individuen zu. Es gibt keine Unterscheidung zwischen Schwarz und Weiß, Mann und Frau, Adligen und Bürgerlichen, Reich und Arm, König und Bettler, Starken und Schwachen, Menschen im Osten und im Westen, Gelehrten und Ungelehrten, Alt und Jung oder zwischen denen, die gegenwärtig sind und jenen, die in Zukunft kommen werden, weil sie alle die menschliche Natur und das, was sie im allgemeinen impliziert, miteinander teilen.
Gleichheit dieser Art ist auf den Islam beschränkt; andere Religionen haben alle in ihrem jeweils eigenen Maß bestimmte diskriminierende Prinzipien. Der Hinduismus unterscheidet z. B. in einer totalen Art und Weise zwischen Brahmanen und Nichtbrahmanen und zwischen Frauen und Männern; im Judentum wird eine Unterscheidung getroffen zwischen den Kindern Israels und den Nichtjuden und im Christentum zwischen Mann und Frau. Was säkulare Sozialordnungen betrifft, so werden in diesen Staatsbürger eines Landes und Ausländer voneinander unterschieden. Nur der Islam sieht die Menschheit als einheitliches Ganzes an und hat die Prinzipien der Unterscheidung und Diskriminierung entwurzelt.
,O ihr Menschen, Wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen
und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander
erkennen möget. Wahrlich, vor Gott ist von euch der Angesehenste,
welcher der Gottesfürchtigste ist … “
Sure: 49, Vers 13
” … Seht ich lasse kein Werk der Wirkenden unter euch verloren
gehen, sei es von Mann oder Frau; die einen von euch sind von den
anderen… “
Sure: 3, Vers 195
Das bedeutet gleich ob männlich oder weiblich – alle haben den
gleichen Status.
Das Prinzip des Realismus
Angesichts der Tatsache, dass der Mensch mit dem Instinkt ausgestattet ist, die Realität zu suchen und zwischen dem Wahren und dem Falschen zu unterscheiden, basieren die vom Islam niedergelegten Gesetze und Gebote auf einer entsprechenden realistischen Sicht der Dinge. Diese kann wie folgt erklärt werden:
Obgleich der Mensch in seiner natürlichen Aktivität durch Gefühle und Emotionen zu seinen vitalen Zielen angespornt wird, bricht er in Wirklichkeit zu wahren Zielen auf, nicht zu Illusionen und Trugbildern. Das neugeborene Baby, das vor Hunger schreit, will richtige Milch und nicht die Illusion von Milch; es schreit aus richtigem Hunger, nicht aus Einbildung oder Phantasie. Jedes Individuum, das auf dem Weg der Erreichung seiner eigenen Interessen strebt, erstrebt seine eigenen wahren Interessen und nicht deren geistige Vorstellungen. Wenn Gefühle und Emotionen dem Menschen bestimmte Bedürfnisse aufzeigen und ihn (ohne in der Lage zu sein, seine wahren besten Interessen in Betracht zu ziehen) zu bestimmten Zielen anspornen ist es gleichermaßen der Verstand, der diese Emotionen nutzt und modifiziert und dem Menschen zeigt, was in Wirklichkeit das Gute und das Schlechte und das Richtige und das Falsche seiner Handlungen ist.
Es ist darüber hinaus der Verstand, der dem Kranken verbietet, schädliche Nahrung zu sich zu nehmen, obwohl er sie zu essen wünscht; es ist der Verstand, der den Menschen davon abhält, gefährliche Handlungen zu begehen, wenngleich ihn dies eines großen Teils seiner Handlungsfreiheit beraubt; es ist der Verstand, der die einzige Überlegenheit des Menschen gegenüber anderen Tieren und seine wichtigste Fähigkeit, zur Unterscheidung des Wahren vom Illusorischen, darstellt.
Die vom Propheten des Islam überbrachten Gesetze und Gebote basieren auf einer realistischen Sicht der Dinge, nicht auf den Launen und Vorlieben von Menschen; dies bedeutet, dass der Mensch die Handlung ausführen muss, die zu tun er Lust hat, die aber nicht mit seinen wahren Interessen übereinstimmt.
Mit der religiösen Gemeinschaft verhält es sich ebenso: sie muss erreichen, was wahrhaft ihrem besten Interesse entspricht und was mit ihrer Glückseligkeit übereinstimmt, wenngleich diese Handlung im Gegensatz stehen kann zu ihren Wünschen; sie muss nicht die Handlung durchführen, die der Wunsch der Mehrheit ihrer Mitglieder ist, die aber im Gegensatz zu ihren wahren Interessen steht. In der Sprache des Heiligen Qur’an wird das, was mit der Wirklichkeit oder mit dem besten Interesse des Menschen übereinstimmt, “die Wahrheit” (al-haqq) genannt. Sie ist das einzige Ziel, auf das der Mensch sein Bemühen ausrichten und nach dem er streben muss.
Der Qur’an sagt:
” … Was sollte also nach der Wahrheit (übrig) bleiben als der
Irrtum? … “
Sure: 10, Vers 33
“Und wenn die Wahrheit sich nach ihren Begierden gerichtet hätte,
wahrlich, die Himmel und die Erde und wer darin ist, wären in
Unordnung gestürzt worden … “
Sure: 23, Vers 7
Ein Mandelkern, der bei den notwendigen Bedingungen in die Erde gesteckt wird, wird nach einigen wenigen Tagen seine Schale aufbrechen und aus seinem Kern werden ein grüner Sprössling und einige Wurzeln hervorsprießen, die in verschiedene Richtungen vordringen; mittels der Wurzeln wird der Sprössling fortdauernd Nahrung aus der Erde ziehen, ständig wachsen und sich entwickeln und letztlich wird er ein ausgewachsener Mandelbaum mit Stamm, Zweigen, Blättern, Blüten und Früchten.
Ein Tierjunges wird die seiner Spezies eigene Form und Gestalt annehmen und durch die Aktivitäten, die seiner Art entsprechen, wird es Tag für Tag größer und vollkommener werden, bis es die Grenze seiner Vervollkommnung erreicht. Wenn wir auf die gleiche Art und Weise alle Geschöpfe der Welt eins nach dem anderen untersuchen, wird vollkommen deutlich werden, dass es für jedes von ihnen einen ihm eigenen Weg gibt, auf dem er die Grenze seiner eigenen Vollkommenheit erreicht, und dass es vom ersten Tag seiner Existenz an von seinem Endziel angezogen wird. In seiner Entwicklung geht es niemals in die Irre, noch ändert es seine Richtung, so dass sich z. B. eine Mandel zu einem Pferd entwickeln könnte oder ein Pferd abends schlafen gehen und am nächsten Morgen als Mandelbaum erwachen könnte. Vielmehr wird jedes Geschöpf mittels der Schöpfung selbst zu seinem Endziel geführt, und beim Durchlaufen dieser Entwicklung verfällt es niemals einem Irrtum.
Der Weg, der für jedes Individuum erklärt wurde, und zu einem Endziel führt, stimmt mit den seiner eigenen Natur gegebenen Mitteln und Möglichkeiten überein. Diese Mittel gestatten es ihm, das Nützliche positiv aufzunehmen und das, was schädlich ist und seine Existenz bedroht, zurückzuweisen. Hühner picken Körner, Schafen und Rindern wird Viehfutter zu Fressen gegeben, und Wölfe, Leoparden und Falken jagen Wild, denn sie alle haben besondere Verdauungssysteme, die nur für bestimmte Nahrungssubstanzen geeignet sind. Auf die gleiche Weise verteidigen sich Vögel mit ihren Schnäbeln, Schafe und Rinder mit ihren Hörnern, Skorpione und Bienen mit ihren Stacheln, Löwen und Leoparden mit ihren Zähnen und Klauen, und Hirsche im Kampf, denn genau das ist die defensive Ausrüstung eines jeden von ihnen.
Zusammenfassend gesagt bewegt sich jedes dieser Geschöpfe in
seinem Leben auf ein bestimmtes Ziel und einen bestimmten
Zweck zu. Es vollbringt Handlungen, bei denen es von der seiner
Existenz gegebenen Ausstattung geleitet wird. Diese Führung und
Bestimmung ist die gleiche allgemeine Rechtleitung und
Bestimmung auf die der Qur’an Bezug genommen und die er dem
Schöpfer zugeschrieben hat:
” … Unser Herr ist Der, Der jedem Ding seine Schöpfungsart gab, alsdann es zu seiner Bestimmung führte.”
Sure: 20, Vers 50
“Der erschaffen und geformt hat, Der bestimmt und leitet.”
Sure: 87; Verse 2 und 3
Offensichtlich ist auch der Mensch, der eine Schöpfungsart ist, keine Ausnahme von dieser allgemeinen Regel. Seine natürliche Veranlagung und sein Charakter zeigen ihm den Weg, den er im Leben einschlagen sollte, und machen ihn aufmerksam auf die Pflichten und Verantwortungen, die er erfüllen muss:
“Woraus hat Er ihn erschaffen? Aus einem Tropfen hat Er ihn
erschaffen und gebildet. Dann ermöglicht Er ihm den Ausgang.”
Sure: 80, Verse 18-20
Das Nachdenken über diese Punkte und unsere vorausgegangene Diskussion wird zeigen, dass das Ergebnis von beiden Diskussionen das gleiche ist, nämlich dass richtige Taten und Handlungen (d. h. jene, die mit dem wahren Interesse des Menschen übereinstimmen und die er mittels seines Instinkts, zwischen dem Wahren und dem Unwahren unterscheiden zu können, auswählen muss) genau die gleichen Handlungen sind, zu der sein Wesen ihn mit seiner eigenen besonderen Ausstattung leitet. Aus diesem Grund wird der Weg, zu dem der Heilige Qur’an den Menschen einlädt, und den er als “die Religion der Wahrheit” bezeichnet hat, vom Qur’an selbst als die natürliche und angeborene Religion bezeichnet, die von der Schöpfung selbst geformt wurde:
“So richte dein Antlitz in aufrichtiger Weise auf den Glauben; (dies
entspricht) der natürlichen Veranlagung, mit der Gott die
Menschen geschaffen hat. Es gibt keine Veränderung an Gottes
Schöpfung. Das ist der beständige Glaube … ” Sure: 30, Vers 30
“Und bei einer (jeden menschlichen) Seele und bei Dem, Der sie
gebildet und ihr den Sinn für ihre Sündhaftigkeit und für ihre
Gottesfurcht eingegeben hat! Erfolgreich ist derjenige, der sie rein
hält; und versagt hat derjenige, der sie verkommen lässt!”
Sure: 91, Verse 7-10
Weil die Schöpfung das Werk Gottes ist und weil jede Art von Schönheit und Angemessenheit, die in ihr beobachtbar ist, das Ergebnis seiner Gnade ist, wird von einer anderen Sichtweise betrachtet das, was der menschlichen Natur angemessen ist, insofern es die Handlungen bestimmt, die der Mensch verrichten muss, als “der Wille” Gottes bezeichnet.
Das ist natürlich der Wille Gottes, da er nicht nur Gesetze bestimmt, sondern den Menschen bei seinen Handlungen leitet und ihn weiterhin für diese Handlungen verantwortlich macht, al-iradah al-tasrt’iyyah. Das ist nicht das gleiche wie der generative Wille Gottes, al-iradah al-takwiniyyah, der niemals verletzt oder missachtet werden kann.) Gleichermaßen werden die Pflichten und Regeln, die aus dem resultieren, was der Natur des Menschen entspricht, die Gebote und Verbote Gottes genannt. Der Qur’an sagt:
“Und dein Herr erschafft, was Er will, und erwählt, was Ihm
gefällt. Nicht ihnen steht die Wahl zu … “
Sure: 28, Vers 68
Da die Religion des Islam aus Pflichten und Geboten von Gott, dem Schöpfer, besteht, und weil die Person, die diese doktrinären und praktischen Anweisungen befolgt, sich dem Willen Gottes unterworfen hat, wird diese Religion in der Sprache des Heiligen Qur’an “Islam”, d. h. “Unterwerfung” oder “Ergebung” genannt:
” Wahrlich, die Religion bei Gott ist der Islam. “
Sure: 3, Vers 19
“Und wer eine andere Religion als den Islam begehrt: nimmer soll
sie von ihm angenommen werden.”
Sure: 3, Vers 85
Das Prinzip des Gleichgewichts zwischen dem Materiellen und dem Geistigen
Das dritte Ergebnis der an den natürlichen Menschen gerichteten Botschaft des Islam ist ein Ergebnis, das in der Tat eine der großen Leistungen dieser Religion ist, nämlich das Einschlagen eines Mittelweges zwischen Materialität und Spiritualität. Dies steht im Widerspruch zum Judentum, das, wie in seinem Heiligen Buch, der Thora, festzustellen ist, spirituelle Themen nicht behandelt, und auch im Widerspruch zum Christentum, welches im Gegensatz dazu, dem expliziten Ausspruch Jesu zufolge, das materielle Leben dieser Welt nicht thematisiert. Andere Religionen wie der Hinduismus und der Buddhismus und sogar der Zoroastrismus, Manichäismus und der Glaube der Sabäer, die in dem einem oder dem anderen Maß mit spirituellen Dingen befasst sind, haben den spirituellen Weg vom materiellen Leben getrennt, in dem Maße, dass die Verbindung zwischen den beiden völlig aufgelöst wurde. Nur der Islam wählt den Mittelweg und legt sein Fundament auf die angeborene menschliche Natur.
Zur Erklärung kann folgendes gesagt werden: Wir alle sehen Individuen, die in Wirklichkeit die Mehrheit der Menschen ausmacht, die ihr ganzes Leben hindurch kein anderes Ziel haben als materielles Vorankommen und an nichts anderes denken als an eine Verbesserung ihrer sozialen Stellung, Zusammentragen von Reichtum und Genießen der materiellen Freuden; Tag und Nacht strengen sie sich an, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, und sie nehmen nicht die geringste Notiz von etwas, was über den Rahmen des vergänglichen und kurzlebigen Lebens der materiellen Welt hinausgeht.
Im Gegensatz zu dieser Gruppe gibt es andere Menschen, natürlich äußerst gering an Zahl, die sich mit dem Nachdenken über das Wesen der Welt und die Unbeständigkeit und Instabilität des Lebens befassen. Sie sehen, dass jedes Vergnügen mit Hundert Schmerzen, jede Freude mit Hundert Sorgen, jeder Besitz mit Hundert Sorgen und Ängsten verbunden ist, und dass letztlich jeder Verbindung eine Trennung, jeder Zeit des Wohlergehens die Krankheit und jedem Leben der Tod folgt. Ferner sehen sie, dass außerhalb des engen Gefängnisses dieser Welt und hinter dem täuschenden Bild dieses Lebens eine ewige Welt existiert, in die nichts von den Leiden und Schwierigkeiten dieser Welt eindringt, und wo Glück und Glückseligkeit den Tugendhaften und Edlen gehören.
Als Folge dieses Nachdenkens unterbinden sie alle sozialen Interaktionen und schließen ihre Augen sowohl vor der Schönheit wie auch vor der Hässlichkeit der vergänglichen Welt, in der jegliche Art von Erfüllung von Wünschen in Bedauern und Verzweiflung endet. Solche Menschen ziehen sich in eine Ecke zurück und beschäftigen sich von nah und fern mit dem Nachdenken über die ewige Schönheit und Vollkommenheit, von der die Welt umgeben ist.
Diese zwei Gruppen von Menschen existieren heute, und die Geschichte bezeugt, dass sie immer existiert haben. Ihre Existenz unter den Menschen ist darüber hinaus selbst das beste Zeugnis dafür, dass der Mensch mit seiner gottgegebenen ursprünglichen Natur die Gültigkeit oder vielmehr die Notwendigkeit bestätigt, sowohl den Weg des materiellen wie auch des spirituellen Lebens zu beschreiten. Denn wenn der Mensch für sich selbst die Tür zum sozialen Leben vollständig verschließt und mit gefalteten Händen jede Anstrengung aufgibt, wird er notwendigerweise ohne Verzögerung dieses Lebens und auch des spirituellen Lebens beraubt werden. Wenn er andererseits das spirituelle Leben aufgibt, dann macht er mit dem gleichen Zug seinen eigenen Verstand und seine Vernunft wirkungslos, das einzige Merkmal, was den Menschen von andere Tieren unterscheidet, und er gibt vor, nicht zu sehen, dass er mit der Unterscheidungskraft zwischen dem Wahren und dem Falschen ausgestattet ist.
Somit kann dieser ursprüngliche Mensch, der das Auge der Unterscheidung besitzt, niemals eine einseitige Existenz annehmen und sich selbst nur mit dem materiellen oder nur mit dem spirituellen Leben zufrieden geben, denn einerseits ist ohne materielle Dinge das Leben in der materiellen Welt unmöglich und andererseits führt ohne das spirituelle Leben das natürliche Wissen und die Hingabe an Gott im ursprünglichen Menschen zu nichts. Wie hervorgehoben wurde, hat der Islam in seinen Lehren einen Weg gewählt, der mitten zwischen dem rein Spirituellen und dem rein Materiellen liegt, ein Weg, der diese beiden antagonistischen Aspekte der Existenz miteinander in Einklang bringt und integriert, und in Wahrheit kann der Mensch die Vollkommenheit der Selbsterkenntnis auf keine andere Weise erreichen. Wie völlig klar ist, ist der Grund dafür, dass jede Art von Geschöpf seine eigene Vollkommenheit und das Ziel des Seins mittels seiner natürlichen und instinktiven Aktivität erreicht, und das Wesen der Aktivitäten der Spezies ist gebunden an die Natur der Kräfte und Mittel, mit denen es ausgestattet ist.
Der Mensch, der ebenfalls eine Art der Schöpfung ist, ist in dieses universale Gesetz eingeschlossen. Er besitzt eine Seele oder einen Geist, der für das unendliche und ewige Leben geschaffen ist und niemals Verderbnis oder Zerstörung erfahren kann, und er kann mit seiner eigenen wertvollen Aktivität das Ziel der Vollkommenheit erreichen, das höher ist als jedes andere Glück oder jede Freude. Aber zur gleichen Zeit ist seine himmlische Seele an einen irdischen Körper gebunden, in dem seine Mittel zur Aktivität liegen; und die Fähigkeiten und Kräfte, mit denen er diese Mittel gebraucht, haben eine bestimmte Art von Beziehung zum Körper. Darüber hinaus führt die menschliche Natur den Menschen zum sozialen Leben und zur Zivilisation, und zweifellos ist diese Führung dafür, dass der Mensch zum Ziel des Lebens und der Vervollkommnung der Spezies gelangen kann. Die Vollkommenheit und das Glück jedes Geschöpfes ist zweifellos eine Vollkommenheit und ein Glück, die die Schöpfung für ihn in Wirklichkeit bestimmt hat; sie sind nicht illusorischer Natur noch sind sie von einer Art, die abergläubischem Denken zuzuschreiben wäre.
Das Glück eines Rosenbusches liegt darin, dass er sich selbst mit
seinem natürlichen Wachstum beschäftigt und das entstehen lässt, wohin seine vegetative Natur ihn leitet, und nicht, dass er in einem prunkvollen Palast in eine goldene Vase gestellt wird. Wie könnte der Mensch also mittels etwas anderem, als der Nutzung der ihm zur Verfügung stehenden materiellen Mittel oder in einer sozialen Umgebung zu leben, zu seiner wahren Vollkommenheit und seinem Glück gelangen? Der Islam hat seinerseits die materiellen Lebensverhältnisse des Menschen, die von einer gänzlich sozialen Natur sind und in denen von allen materiellen Mitteln Gebrauch gemacht wird, zum Hintergrund seines Erziehungsprogramms gemacht. Gemäß der Führung, die von der angeborenen Natur und den inhärenten Eigenschaften des Menschen bewirkt werden, hat der Islam im Hinblick auf die individuellen, sozialen, speziellen und universalen Handlungen des Menschen umfangreiche Gesetze und Vorschriften formuliert, die wiederum ein vollständiges Programm für seine Erziehung und Vervollkommnung sind. Ein Teil dieser Vorschriften betrifft Pflichten, die der Mensch Gott gegenüber hat, und schließt Zeichen seiner Knechtschaft angesichts Seiner Herrschaft, Bedürftigkeit angesichts Seines Reichtums und Seiner Unabhängigkeit, Niedrigkeit angesichts Seiner Erhabenheit, Bedeutungslosigkeit angesichts Seiner Herrlichkeit und Pracht, Unwissenheit angesichts Seines Wissens, Unfähigkeit angesichts Seiner Macht und Unterwerfung angesichts Seines Willens ein. Darüber hinaus wurde diesen Zeichen im möglichen Maße ein sozialer Charakter beigemessen, wie im Falle der Gruppen, die sich zu den täglichen Gemeinschaftsgebeten versammeln, der größeren Gruppen, die sich zum Freitagsgebet versammeln und der noch größeren Versammlung, die während der Pilgerfahrt in Mekka stattfindet.
Ein zweiter Teil dieser Vorschriften betrifft die Pflichten des Menschen in sozialen Umgebungen und hinsichtlich seiner Mitmenschen. Natürlich wurde bei diesen Pflichten, die die islamischen Gesetze sind, das Gefühl der Verantwortlichkeit Gott gegenüber bedacht, denn der Mensch muss sich einzig Seinem Willen (d. h. den Voraussetzungen seiner Schöpfung) ergeben. Das bedeutet, dass alle Handlungen im Licht der drei grundlegenden Prinzipien des Islam, nämlich göttliche Einheit, Prophetentum und Jüngster Tag, durchgeführt werden müssen. Der Qur’an stellt fest:
“Sprich: ,0 Volk der Schrift, kommt herbei zu einem gleichen Wort
zwischen uns und euch, dass wir nämlich Gott allein dienen und
nichts neben Ihn stellen und dass nicht die einen von uns die
anderen zu Herren nehmen außer Gott.”
Sure: 3, Vers 64
Aus der vorangegangenen Diskussion wurde deutlich, dass in der Religion des Islam der im Leben zu beschreitende Weg auf eine solche Weise geordnet und arrangiert wurde, dass das soziale und materielle Leben des Menschen einer Wiege gleicht, in der das spirituelle Leben gefördert wird. Das innere spirituelle Licht des praktizierenden Muslim ist derart, dass alle seine individuellen und sozialen Handlungen zur Läuterung seiner Seele und Intensivierung ihres Strahlens beitragen. Obgleich er äußerlich mit Menschen ist, ist er innerlich bei Gott, und obwohl er sich inmitten. einer Menschenmenge befindet, wohnt er in dem spirituellen Zufluchtsort des göttlichen Geheimnisses. Zur gleichen Zeit, da er hierhin und dorthin läuft, nach materiellen Gütern strebend, und eine Reihe von sowohl bitteren wie auch süssen, erfreulichen und unerfreulichen, schönen und hässlichen Ereignissen durchläuft, und im allgemeinen in die Erlebnisse der lärmenden äußeren Welt involviert ist, ist sein Herz frei und existiert in einer Welt der Ruhe, in der er, gleich wohin er schaut, das Antlitz Gottes erblickt:
” … wo immer ihr euch also hinwendet, dort ist das Antlitz Gottes
… ” Sure: 2, Vers 115
Ein frommer Muslim dehnt sein spirituelles Leben auf jeden Aspekt seines materiellen Lebens aus. Er ist mit Gott in Verbindung, gleich wo er ist und gleich was er tut. Alles, womit er sich in der materiellen Welt beschäftigt, ist ein Spiegel, in dem er Gott reflektiert sieht. Andererseits stellen sich Nichtmuslime, die sich dem spirituellen Leben zuwenden, vor, dass ihr natürliches und alltägliches Leben ein Schleier zwischen ihnen selbst und der Wahrheit ist, die sie erstreben. Als Folge davon sind sie gezwungen, das normale Leben aufzugeben und bei ihrer Suche nach spiritueller Vervollkommnung eine ungewohnte Lebensweise anzunehmen.
Was auch immer die Vorteile eines solchen Weges sein mögen – für jemanden, der ein normales Leben führt, ist dies ein schwerer Weg. Wie auch immer, derjenige, der dem spirituellen Leben gemäß den Vorschriften des Islam folgt, weiß sehr gut, dass ein solcher (normaler) Weg schließlich leichter und weniger tiefgründig ist als der des Islam, denn solche Menschen haben durch das Verlassen des alltäglichen Lebens den einfachen Weg eingeschlagen und sind vor der Schwierigkeit des fortgesetzten nächtlichen Wachens und der Anstrengung geflohen. Sie haben auf dem Weg zur Vervollkommnung ein Hindernis aufgestellt, das die Schöpfung selbst und die Mittel, die sie dem Menschen zur Verfügung gestellt hat, vorbereitet haben. Solche Menschen haben sich auf einen in ihrer eigenen Fantasie bestehenden Weg gemacht, und es ist fraglich, ob sie jemals das Ziel erreichen, das die Schöpfung für sie bestimmt hat.
Wenn man ferner annimmt, dass die Welt und alles, was sie enthält, die Schöpfung Gottes ist, und dass die Phänomene der Welt, ein jedes nach dem Maß seiner eigenen Existenz Zeichen der Wahrheit und Spiegel sind, die Gott zur Schau stellen, und angenommen, dass der Mensch mit den unterschiedlichen Zuständen, die seine ursprüngliche Natur kennzeichnen, eines dieser Zeichen ist, dann ist es notwendig, dass das spirituelle Leben (d. h. der Weg der Erkenntnis des Selbst und Gottes) mit sich bringt, dass Gott in jeder Situation erkannt wird. Alle diese Spiegel müssen beim Erwerb des göttlichen Wissens und beim Nachdenken über Gottes Schönheit benutzt werden, denn ist dies nicht der Fall, wird der Mensch mit seinen Anstrengungen nicht mehr als ein unvollkommenes Wissen oder eine vollkommene Unwissenheit erzielen.
Wissen und Weisheit aus der Sicht des Islam
Wer sich oberflächlich mit den Religionen und Glaubensbekenntnissen der Welt befasst hat, wird keinerlei Zweifel hegen, dass die Würde und Ehre, die der Islam dem Wissen und der Weisheit beigemessen hat, und das Maß, in dem er zu ihrem Erwerb ermutigt hat, einmalig und in keiner anderen Religion oder Ideologie, gleich ob offenbart oder nicht offenbart, jemals da gewesen ist.
Es ist der Heilige Qur’an, der fragt:
••… Sind solche, die wissen, denen gleich, die nicht wissen? … “
Sure: 39, Vers 9
und der die erhabene Stellung des Wissens auf die eloquenteste Art und Weise preist. Und es war der Heilige Prophet, der sagte:
“Nach Wissen zu streben ist Pflicht für jeden Muslim.”
Und
“Suchet Wissen von der Wiege bis zum Grab”, und “Suchet Wissen, auch wenn ihr es in China findet.” Nochmals: es. ist der Heilige Qur’an, der seinen Anhängern gebietet, niemals vom Weg des Wissens abzuweichen noch dem zu folgen, was nur vermutet oder angenommen wird, und niemals ohne Überlegung etwas zu akzeptieren, was ihnen vor die Augen kommt oder ihnen einfällt, denn sie sind für ihre Überzeugungen verantwortlich .
**Und verfolge nicht das, wovon du keine Kenntnis hast. Wahrlich,
das Ohr und das Auge und das Herz – sie alle sollen zur
Rechenschaft gezogen werden.”
Sure: 17, Vers 36
Wie deutlich ermutigt der Islam seine Anhänger, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Wissen zu erwerben, und in dieser Hinsicht hat er die Kenntnis der religiösen Rechtsprechung oder dogmatischen Wissenschaften und der Vorschriften des religiösen Gesetzes als obligatorisch bezeichnet.
**Die Gläubigen dürfen nicht alle auf einmal ausziehen. Warum
rückt dann nicht aus jeder Gruppe nur eine Abteilung aus, auf dass
sie (die Zurückbleibenden) in Glaubensfragen wohl bewandert
würden? …
” Sure: 9, Vers 122
Ein Punkt, der nicht außer Acht gelassen werden darf, ist die Tatsache, dass die Fähigkeit von Individuen zum Verständnis wissenschaftlicher und geistiger Wahrheiten unterschiedlich ist. Es gibt Menschen, die keine Begabung für logisches Denken haben, und die mit ihrem einfachen Verstand in einer Umgebung physischer Arbeit leben und auf der Ebene des rein materiellen Lebens, während es andere gibt, deren Denken logisch ist, und die von ihrer Natur her besondere Freude daran haben, tiefsinnige Ideen und wissenschaftliche Theorien zu erfassen. Wieder andere haben ihre Aufmerksamkeit sowohl vom Denken als auch der physischen Arbeit abgewendet und haben eine besondere Abneigung gegen die dunkle Welt der Materie und ihre trügerische Schönheit und vergänglichen Freuden angenommen und bemerken in sich selbst eine besondere Anziehung zur transzendenten Welt und eine besondere Faszination von ihrer dauerhaften und unendlichen Schönheit, von der die Schönheit dieser Welt nur ein reflektiertes Bild ist. Solche Menschen verstehen die Wahrheiten und Geheimnisse der transzendenten Welt leicht mittels innerer Erleuchtung. Mit einem Blick auf diese offensichtliche Vielfalt belehrt der Islam jede dieser drei Gruppen mit ihren eigenen Worten und ihrer eigenen Sprache. Eine Gruppe lehrt er mittels der äußerlichen und formalen Aspekte der Religion, und eine zweite Gruppe durch intellektuellen Beweis, während er die dritte Gruppe angewiesen hat, gegen diese fleischliche Seele zu kämpfen und das Herz zu reinigen.
Auf die gleiche Weise hat Gott im Qur’an einen Vergleich über seine eigenen Äußerungen und Ausdrücke angestellt:
“Er sendet Wasser vom Himmel herab, so dass die Täler nach ihrem Maß durchströmt werden …”
Sure:13, Vers 17
Der Heilige Prophet hat gesagt: “Uns Propheten wurde geboten, mit den Menschen ihrer Auffassungsgabe gemäß zu sprechen. “
Die Methode der praktischen Anweisungen
Jene unter seinen Anhängern, die keine Vorliebe für rationale Beweise haben, und die sich beim Versuch, diesen Weg zu beschreiten, der Gefahr von Irrtum und Abirrung gegenüber sehen würden, hat der Islam nicht über ihre Fähigkeit hinaus belastet, und über die drei Prinzipien der Religion (göttliche Einheit, Prophetenturn und das Jüngste Gericht) hinaus gibt er ihnen nur einfache praktische Anweisungen wie die Gebote, Gutes zu tun und Schlechtes zu verwehren; diese Art der Formulierung ist in einer großen Zahl der Qur’anischen Verse und in Aussprüchen des Propheten und der schiitischen Imame zu finden.
Natürlich kann sich der Mensch mit seiner angeborenen Natur im Falle der drei religiösen Prinzipien mit einer einfachen Form des rationalen Beweises befassen, und folglich wird er nichts anderes als definitiv bewiesenes Wissen akzeptieren. Und genau genommen liefert ihm diese Methode den rationalen Beweis für die restlichen Lehren und Anweisungen, die er ohne rationale Darstellung akzeptiert hat, denn die Wahrheit des Prinzips des Prophetenturns beweist definitiv die Gültigkeit aller Aussprüche, die uns vom Propheten überliefert sind.
Die Methode des rationalen Beweises
Der Islam lehrt Jene Menschen, die einen gesunden Menschenverstand besitzen und die Fähigkeit haben, wissenschaftliche Theorien und geistige und logische Argumente zu verstehen, mittels logischer und rationaler Darstellung. Mit anderen Worten führt er sie zu dem, was ihre unverfälschte und wirklichkeitssuchende angeborene Natur sofort erkennt. Er erlegt ihnen nicht erst seine Lehren und Glauben Überzeugungen auf und verteidigt diese dann durch logisches Denken und Beweise.
Das Buch und die Tradition, d. h. die Verse des Heiligen Quran und die Aussprüche des Propheten und der schiitischen Imame – welche die Bedeutung und den Sinn der Qur’anischen Verse klären sind voll von dieser Art der rationalen Demonstration. In ihnen sind die islamischen Überzeugungen und Lehren mittels einfachster Ausdrucksformen und überzeugendster Beweise detailliert erklärt, und ebenso werden in ihnen die allgemeinen und universellen Nutzen und Vorteile der islamischen Gesetze und Vorschriften erwähnt.
Natürlich dürfen wir nicht die Tatsache übersehen, dass die Bedeutung der Diskussion und die Demonstration der Nutzen und Vorteile der islamischen Gesetze und Vorschriften nicht impliziert, dass eine bestimmte Vorschrift verworfen werden sollte, wenn ein individueller Muslim oder die islamische Gesellschaft allgemein diese Vorschrift nicht versteht. Denn wie bereits erwähnt wurde, wurden diese Gesetze mittels Prophetentum verkündet, und der Beweis für die Gültigkeit des Prophetentums ist ein Gesamtbeweis für die Gültigkeit dieser Gesetze, auch wenn wir nicht den detaillierten Grund dafür haben.
Die Methode der Läuterung der Seele
Die dritte Gruppe von Menschen sind jene, die bereit und eifrig darum bemüht sind, alle materiellen Bindungen zu lösen und ihre Aufmerksamkeit von den täuschenden Zierden und illusorischen Begierden dieser Welt abzuwenden. Solche Menschen sind bereit, alles außer Gott zu vergessen, und ihre Augen vor jeder Schönheit und Hässlichkeit und jeder süssen und bitteren Erfahrung dieser vergänglichen und trügerischen Existenz zu verschließen. Das Auge der Erkenntnis in Richtung der ewigen Welt öffnend sind sie bereit, ohne den Schleier der Materialität über das Strahlen der Herrlichkeit und Erhabenheit Gottes nachzudenken, die Phasen der menschlichen Vervollkommnung zu bereisen, die nach dem Verlassen dieses vergänglichen Lebens passiert werden müssen, und . in die Nähe des Göttlichen einzutreten. Mit solchen Menschen spricht der Islam im Verborgenen in einer Sprache, die sie allein verstehen, über die göttlichen Geheimnisse, und so führt er sie von den Tiefen der Unwissenheit zum Gipfel des Wissens und der Weisheit.
Ursprünglichkeit der islamischen Mystik
Eine Reihe von Orientalisten haben gesagt, dass die mystischen und metaphysischen Lehren des Islam von den indischen entliehen seien, da der Islam selbst nichts mehr als eine Reihe außergewöhnlicher konkreter und einfacher Glaubensüberzeugungen und steriler Formen der Anbetung sei. Die knappe Antwort auf diese Behauptungen wird in netter Form von den Worten des Dichters gegeben: ,,O Freund, die ganze Schwierigkeit ist, dass du kein Kenner von Worten bist.”
Natürlich wollen wir in unserer Antwort auf diese Kritik den Islam nicht aus der Perspektive seiner Mystiker verteidigen, sondern befassen uns mit dem Beweis der Gültigkeit und Ursprünglichkeit der auf dem spirituellen Weg beschrittenen verschiedene Wege angesichts der indischen Mystik. Gleichermaßen befassen wir uns in unserer Diskussion der rationalen Demonstrationen nicht mit der Analyse und dem Beweis der Validität aller von Muslimen verfassten philosophischen Bücher, und bei unserer Diskussion der Methode der formalen Aspekte der Religion erklären wir den Weg der Mehrheit der Muslime, gleich welcher Art er auch sein mag, nicht als richtig. Vielmehr ist unser Streben in diesem Artikel auf einen allgemeinen Überblick über die ursprünglichen und echten islamischen Quellen, d. h. das Buch und die Tradition (Sunna), begrenzt, ohne uns damit zu befassen, ob wir mit den Aktivitäten und dem Verhalten eines Einzelnen der vorher genannten Klassen von Menschen übereinstimmen oder nicht.
Die Behauptung der zuvor genannten Orientalisten basiert auf dem Evolutionsprinzip, dem zufolge die Entwicklung und Vervollkommnung natürlicher Erscheinungen auf eine wissenschaftliche Weise erklärt wird. Dieses Prinzip wurde so verallgemeinert, dass es jede Art von Geschehen, gleich in welcher Sphäre einschließt, selbst Gewohnheiten, Bräuche und Phänomene instinktiver und angeborener Natur und darüber hinaus sogar spirituelle Phänomene. So wird die Grundursache jedes Ereignisses in vorausgegangenen Geschehnissen gesucht. Dem gleichen Prinzip zufolge wurde gesagt, dass islamische Gesetze von denen der Römer und islamische Doktrinen von den philosophischen Ideen der Griechen entlehnt wurden.
Diese Orientalisten haben sich bei ihrem Urteil in zweierlei Hinsicht geirrt. Erstens haben sie die sogenannte “mystische Intuition” als von der gleichen Art angesehen wie normales Denken, und folglich haben sie sich vorgestellt, dass das durch Läuterung der Seele gewonnene Wissen ein System poetischer Gedanken sei, fast wie wenn ein Dichter mit seiner überfliessenden und kreativen Vorstellung und seinen eloquenten Ausdrucksmitteln solche Ideen besser zum Ausdruck bringen kann als ein mystischer Kenner der göttlichen Geheimnisse. Ein ähnlicher Fehler wird im Falle der Offenbarung gemacht, welche die himmlische Wahrnehmung von Propheten und das Mittel, göttlicheWissenschaften und Gesetze zu erhalten, ist. Infolgedessen wird die grundlegende Quelle der islamischen Doktrinen und Anweisungen als griechisches Denken und römisches Gesetz dargestellt. Dieser Fehler tritt in den Diskussionen, die über Prophetentum und die “Denkweise” des Propheten geführt werden, klar zutage. Zudem widersprechen die Worte und Äußerungen, die uns von den Propheten erreicht haben, gleich ob ihr Anspruch auf Prophetentum richtig war oder nicht, solchen Ansichten. Der zweite Fehler liegt darin, dass auch wenn wir diese Evolutionstheorie als bewiesen und definitiv gesichert anerkennen, diese Theorie nicht so verstanden werden kann, dass sie den Grund für die Manifestation eines instinktiven Triebes liefert.
Denn ein Instinkt, der in der Natur einer Art bei dessen Schöpfung angelegt ist, wird in jedem Individuum dieser Spezies manifest werden (vorausgesetzt, dass es kein äußeres Hindernis gibt), gleich ob es einen vergleichbaren Fall gibt oder nicht. Als ein zutreffendes Beispiel kann gesagt werden, dass die Araber die Vielfalt an Nahrungsmitteln und die Zubereitung einer raffinierten Küche von den Persern erlernten. Gleichermaßen kann gesagt werden, dass sich die demokratische Regierung mit ihrer vielfältigen administrativen Organisation vom Osten in den Westen ausbreitete, dies kann aber nicht gesagt werden über den allgemeinen Akt, eine Gesellschaft zu bilden und eine Regierung zu etablieren.
Aus unserer vorangegangenen Diskussion ging hervor, dass der Weg der Läuterung der Seele, d. h. das spirituelle Leben und die mystische Intuition, der Natur des Menschen angeboren ist; einmal durch die notwendige Vorarbeit und die Beseitigung von Hindernissen geweckt, wird er dem Menschen den Weg der spirituellen Erleuchtung weisen. Folglich kann die Religion, die von Natur aus in diesem oder jenem Maße mit der transzendenten und ewigen Welt befasst ist, nicht umhin, als das Erscheinen von Anhängern verursachen, in denen dieser verborgene Zwang geweckt wurde und die alle Bindung an diese vergängliche Welt voller Leid und Mühsal lösen und sich mit der Hoffnung auf absolute Glückseligkeit und Gelassenheit mit der ewigen Heimstatt beschäftigen werden. Und wir sehen auch in der Praxis, dass in jeder der Weltreligionen eine Gruppe existiert, die vom spirituellen Leben und mystischen Weg angetan ist.
Wenn man die Darstellung der spirituellen Aspekte in den wichtigsten Weltreligionen miteinander vergleicht, kann man klar feststellen, dass sich die Texte des Islam mehr mit der Beschreibung immerwährender Glückseligkeit und der ewigen Welt befasst haben als die Texte der anderen Religionen. Folglich erscheint der Weg der Läuterung der Seele im Islam als vollkommen natürlich, ohne dass die Notwendigkeit besteht, seine Ursprünge mit Indien oder irgendeinem anderen Ort in Beziehung zu bringen. Wie die Geschichte beweist, standen ferner eine große Anzahl der Gefährten “Alis (der Friede sei mit Ihm) der Cousin und Schwiegersohn des Propheten und der erste schiitische Imam) wie Salman, Kumayl, Raschid, Maytam und Uways unter dessen direkter spirituellen Führung und Lehre – zu einer Zeit, da der Islam Indien noch nicht erreicht hatte und wo sich die Frage nach dem Kontakt mit indischem Denken nicht stellen konnte. Die Tatsache, dass die Ketten der spirituellen Initiation nahezu aller sufischen Orden im Islam auf “Ali zurückreichen, bekräftigt diesen Punkt weiter.
Der Unterschied in den Ausdrucksmitteln der islamischen Mystik und anderer Mystiken
Die feinen und entwickelten Ausdrücke der islamischen Mystik hat im Unterschied zu den Formulierungen anderer mystischer Lehren und insbesondere zu der indischen den Vorteil, mystische Wahrheiten eingehüllt in Formulierungen einer allgemeineren Natur zu erläutern. Folglich kann jeder von ihnen Nutzen ziehen, ein jeder gemäß seines eigenen Verständnisses. Andere mystische Wege haben dieses Merkmal nicht.
Aus dem gleichen Grund wurde der Islam von den schädlichen Folgen verschont, die andere Religionen, die mystische Wahrheiten offen und ungeschützt dargestellt haben, heimsuchten. Wenn wir beispielsweise im Falle der indischen Mystik die Upanischaden sorgfältig studieren, werden wir feststellen, dass die darin dargestellte Lehre ein genauer und äußerst tiefsinniger Ausdruck von der Einheit Gottes ist, dass sie aber gleichzeitig so kräftig und explizit ist, dass jeder, der darauf zurückgreift, und in der mystischen und metaphysischen Lehre nicht vollkommen bewandert ist, ihre wunderbaren absoluten Formulierungen als nichts anderes denn als abergläubisches Geschwafel ansehen wird, oder zumindest wird er Abschnitte, die die Einheit Gottes in vollendeter Form zum Ausdruck bringen, als nichts anderes denn als Inkarnationslehre, Pantheismus und Götzenverehrung interpretieren.
Diese Behauptung wird darüber hinaus in den Meinungen, die viele Orientalisten, die sich auf Sanskrit spezialisiert haben, bezüglich des indischen Mystizismus zum Ausdruck gebracht haben, belegt, denn nach der enormen Forschungsarbeit, die sie im Hinblick auf die hinduistischen und buddhistischen Texte geleistet haben, sehen sie in den indischen mystischen Lehren noch immer nichts als Aberglaube, der in den Köpfen von Menschen geschaffen wurde, die der Vorzüge des Lebens beraubt sind. Und der Hauptgrund für alle diese Ansichten seitens der Orientalisten ist die Deutlichkeit und schockierende Natur der forschen Formulierungen dieser Texte.
Weitere Prüfung der islamischen Botschaft
Auf die gleiche Weise wie Gottes Schöpfung der Menschheit eine bestimmte Art von materiellem Leben zur Verfügung gestellt und keinen Unterschied zwischen den Menschen gemacht hat, sondern jeden von ihnen mit den gleichen Möglichkeiten ausgestattet hat, hat sie auch das spirituelle Leben, das hinter dem Schleier des materiellen Lebens verborgen ist, allen Menschen zur Verfügung gestellt. Und auf die gleiche Weise wie die Vervollkommnung des materiellen Lebens des Menschen in der Manifestation und Verwirklichung aller seiner positiven und negativen Werke und Handlungen liegt – die er mittels seines Körpers durchführt-, hat die Schöpfung auch die Vervollkommnung des spirituellen Lebens so ausgedehnt, dass sie alle diese Taten und Handlungen einschließt.
Im Einklang mit der Schöpfung sieht der Islam das spirituelle Leben als zu allen Menschen gehörend an und hat keinen Unterschied zwischen ihnen gemacht, und gleichermaßen hat er das spirituelle Leben auf alle positiven und negativen Aspekte des menschlichen Lebens ausgedehnt. Er lädt die Menschen ein, die Bande des sozialen Lebens zu akzeptieren und beim Beschreiten eines festgelegten Weges auf eine positive Weise zu agieren. Bei der Lehre dieses Weges hat er Zuflucht genommen zu Hinweisen, die in der Hülle normaler und alltäglicher Ausdrücke enthalten sind. Der Grund dafür ist, dass unsere mündlichen Formulierungen in jedem Fall von den Gedanken der Allgemeinheit der Menschen geboren sind. Wir gebrauchen sie in unserem sozialen und materiellen Leben, um das gegenseitige Verständnis zu erleichtern, und durch sie tauschen wir Gedanken und geistige Vorstellungen aus.
Nun ist das mystische und kontemplative Verständnis, das seltener ist als das Elixier des Lebens und das durch die Geschichte hindurch niemals allgemeine Akzeptanz erfahren hat, etwas völlig anderes als der normale menschliche Ausdruck. Derjenige, der in Begriffen das durch intuitives und mystisches Verstehen gewonnene Wissen formulieren will, ist wie jemand, der von Geburt an blind ist, und mit Hilfe von Worten die Farben des Regenbogens beschreiben will. Und derjenige, der kontemplative und mystische Einsichten in die Form von Worten bringt, ist genau wie derjenige, der mit einem Sieb Wasser von einem Ort zu einem anderen Ort trägt.
Aus diesem Grund hat der Islam beim Formulieren mystischer Wahrheiten auf Symbole und Andeutungen zurückgegriffen, und ist so von den Unglücken, die andere Religionen erfasst haben, nahezu unberührt geblieben.
Ein Blick auf den spirituellen Weg
Möglicherweise ist die Behauptung, wonach der Islam den mystischen Weg mittels Andeutungen und Symbolen erklärt hat, unbegründet und läuft darauf hinaus, falsche Geister zu wecken. Ausreichendes Nachdenken über die islamischen Lehren und Formulierungen, und ein Abwägen dieser gegen die verzückten und ekstatischen Zustände des islamischen Mystikers wird jedoch das Gegenteil beweisen und das in ihnen Verborgene aufzeigen, und mittels Andeutung werden diese Lehren alle Ebenen der Vollkommenheit, die auf dem mystischen Weg durchschritten werden, erklären, wenngleich ein richtiges und detailliertes Verständnis von diesen Zuständen nur mittels mystischer Intuition möglich ist.
Die auf dem spirituellen Weg Reisenden, die ihre Herzen infolge ihrer natürlichen und ureigenen Bereitschaft der unendlichen Schönheit und Vollkommenheit der Wahrheit ergeben haben, verehren Gott allein aus Liebe, nicht aus einer Hoffnung auf Belohnung oder der Furcht vor Bestrafung heraus, denn Ihn anzubeten, um dadurch das Paradies zu erlangen oder die Hölle zu vermeiden, bedeutet genau genommen, diese Belohnung (bzw. das Vermeiden der Bestrafung) anstelle von Gott anzubeten. Als Folge der (göttlichen Anziehung, die ihre Herzen erfasst hat, und insbesondere als Folge ihres Sehens, dass Gott den Vers
“So gedenkt also Meiner, damit Ich euer gedenke … “
Sure: 2, Vers 152
und Hunderte anderer Qur’anverse, in denen vom Gottgedenken die Rede ist, offenbart hat, sind die mystischen Wanderer überall und in jedem erdenklichen Zustand mit Seinem Gedenken befasst: “Die Gottesgedenken im Stehen und im Sitzen und (Liegen) auf ihren Seiten … “
Sure: 3, Vers 191
Und wenn sie die Botschaften des Geliebten vernehmen, “Wahrlich, in den Himmeln und auf der Erde sind Zeichen für die Gläubigen.”
Sure: 45, Vers 3
” … und es gibt nichts, was Seine Herrlichkeit nicht preist.,;”
Sure: 17, Vers 44
Und
” … Wo immer ihr euch also hinwendet, dort ist das Antlitz Gottes
… “
Sure: a1-Baqara (2), Vers 115
begreifen sie, dass alle existenten Dinge Spiegel sind, die alle die einzigartige Schönheit der Wahrheit gemäß den Möglichkeiten ihres eigenen Seins hervorheben. Außer ihrer Eigenschaft, Spiegel zu sein, haben sie keine Existenz in sich. Folglich schauen solche Menschen mit Liebe und Begeisterung auf jedes Phänomen und haben kein anderes Ziel, als über die Schönheit Gottes nachzudenken.
Und wenn sie Gottes Botschaften
,,O ihr, die ihr glaubt! Wacht über euch selbst. Wer irregeht, kann
euch nicht schaden, wenn ihr nur selbst auf dem rechten Weg seid
… ” Sure: 5, Vers 105
Und
“Du Mensch! Du strebst mit aller Mühe deinem Herrn zu; und du
sollst Ihm begegnen.”
Sure: 84, Vers 6
hören, verstehen sie, dass sie von der Natur der Schöpfung selbst, im Rahmen ihrer eigenen Seelen gefesselt sind, und es gibt keinen anderen Weg, um zu Gott zu gelangen, als mittels ihrer Seelen. Alles, was sie in der Ausgedehntheit der Welt sehen oder finden, sehen und finden sie in sich selbst. Hier versteht der Mensch, dass er genau genommen von allen Orten und Dingen abgeschnitten ist und dass es außer ihm und seinem Gott niemanden sonst gibt. Selbst wenn ein solcher Mensch inmitten von hunderttausend Menschen ist, ist er allein, und wenn andere ihn inmitten einer Menschenmenge sehen, sieht er sich in einer spirituellen Abkehr von jedem anderen, und niemand ist bei ihm außer Gott. Da schaut er auf sich selbst und sieht alle Dinge in sich selbst, und er versteht, dass er selbst auch nur ein Spiegel ist, in dem die einzigartige Schönheit Gottes offenbar wird, und dass er nichts hat außer Gott. Wenn er Gottes auf diese Art und Weise gedenkt, und sein Herz von Eitelkeit und Banalitäten gereinigt und geleert hat, wird das Gedenken an Gott in seiner Seele festgemacht und er tritt ein in die Ränge der Menschen der Gewissheit (al-yaqin) und Gottes Versprechen
“Und diene deinem Herrn, bis die Gewissheit zu dir kommt.”
Sure:15, Vers 99
ist erfüllt. Die Türen des Königreiches der Himmel und der Erde öffnen sich ihm und er sieht, dass alle Dinge der absolute Besitz Gottes sind.
“Da zeigten Wir Abraham das Reich der Himmel und der Erde, auf,
dass er zu den Festen im Glauben zählen möge.”
Sure: 6, Vers 76
Der mit einer solchen Sicht ausgestattete Mensch wird die drei Stufen göttlicher Einheit erblicken:
Zuerst wird ihm die Einheit Gottes in seinen Handlungen offenbart. Er wird mit Gewissheit sehen, dass es Gott ist, der das Universum und alles, was darin ist, lenkt, und dass die unzähligen Ursachen und Wirkkräfte, die in der Welt tätig sind, gleich ob sie aus freiem Willen oder aus Notwendigkeit heraus agieren, alle von Seiner allmächtigen Hand auf das Schöpfungsgemälde aufgemalt wurden. Ursache und Wirkung und die Beziehung zwischen den beiden – alles wird von dem Einen geschaffen und ausgeführt.
“Und Gottes ist das Königreich der Himmel und der Erde .:”
Sure:45, Vers 27
Zweitens wird ihm die Einheit der Namen und Eigenschaften Gottes enthüllt, und er wird ohne Vermittler sehen, dass jede vollkommene Eigenschaft, die in der Welt erscheint, und gleichermaßen jede Eigenschaft der Schönheit und der Erhabenheit, sei es Leben, Wissen, Macht, Stärke, Größe oder was auch immer, ein Schimmer von der Wahrheit ist, und dass diese Eigenschaften durch die vielfältigen Fenster scheinen, welches die Existenzen von Dingen mit ihren jeweiligen Eigentümlichkeiten sind.
“Und Gottes sind die schönsten Namen … “
Sure: 7, Vers 180
Schließlich wird er auf der dritten Stufe der göttlichen Einheit erblicken, dass alle diese unterschiedlichen Eigenschaften Manifestationen einer unendlichen Wesenheit sind und das in Wirklichkeit eine jede von ihnen mit jeder anderen identisch ist und dass alle mit der Essenz selbst identisch sind.
” … Sprich: “Gott ist der Schöpfer aller Dinge, und Er ist der
Einzige, der Allmächtige.”’
Sure: 13, Vers 16
Die Überlegenheit des Islam in der Lehre von der göttlichen Einheit
Das sind die drei genannten Stufen, die die Liebenden der absoluten Wahrheit in den verschiedenen Religionen der Welt durchlaufen. Wenn sie ihre Reise auf dem Weg der spirituellen Vervollkommnung beginnen, sehen sie in diesen drei Stufen ihr Endziel. Der Islam beschränkt sich jedoch nicht auf diese Stufen, sondern beschreibt seinen Anhängern ein Ziel, das sogar noch höher ist und das in den Schriften jeder anderen Religion formulierte Ziel übertrifft. Denn er endet nicht mit der Negierung aller Begrenzungen von Gott und damit, Ihn über jede Bestimmung hinaus als unendlich und transzendent anzusehen, sondern er geht so weit, dass er für Ihn genau diese Eigenschaft der Unendlichkeit negiert (weil jede Eigenschaft, auch die der Unendlichkeit, nichts anderes als “bestimmen” und damit das, dem es zugeschrieben wird, begrenzen kann).
Folglich wird die göttliche Essenz als die Namen und Bezeichnungen und sogar diese Beschreibung transzendierend angesehen. Der sechste schiitische Imam, Sadiq, hat in einer Überlieferung, die von al-Kulayni in dem Buch “Usul alKafi” zitiert wird, diese Stufe von dem folgenden Vers des Heiligen Qur’an abgeleitet:
“Sprich: ,Ruft Gott an oder ruft den Allerbarmer an – bei welchem
(Namen) ihr (Ihn auch) immer anruft, Ihm stehen die schönsten
Namen zu.’ … “
Sure: 17, Vers 110
Da jedoch eine weitere Ausarbeitung dieser Lehre bedeuten würde, dass wir in eine philosophische Diskussion eintreten müssten, was nicht dem Wesen dieses Textes entspricht, müssen wir dies für den Augenblick beiseite lassen.
Heiligkeit in Gott
Die Anhänger des Weges in Richtung Vollkommenheit bezeugen vom Anfang ihrer Reise an, bis zu dem Punkt, an dem sie endgültigen Frieden erlangen, eine Menge, was vor den Augen und Herzen der erdgebundenen Bewohner der materiellen Welt verborgen bleiben muss, und eine Überlegung dieser Zustände und Ebenen würde über den Rahmen dieses Artikels hinausgehen.
Wichtig ist hier die Frage der Heiligkeit in Gott (al-wilayah alilahiyyah).
Wenn die Reisenden auf dem spirituellen Weg die Stufe der göttlichen Einheit erreichen und in die Nähe Gottes treten, lassen sie das, was sie bis zu diesem Zeitpunkt besessen haben, gänzlich los, denn sie erkennen, dass alles zu Gott gehört. Sie geben die falsche Behauptung auf, Dinge zu “besitzen” und in ihrem Besitz unabhängig zu sein. Da überkommt sie eine unbeschreibliche Ruhe und Gelassenheit und sie sind von allem Leid, jeder Furcht und Sorge absolut befreit.
“Wahrlich, diejenigen, die sagen: ,Unser Herr ist Gott’, und die sich dann aufrichtig verhalten – zu ihnen steigen die Engel nieder (und sprechen): ,Fürchtet euch nicht und seid nicht traurig, und erfreut euch des Paradieses, das euch verheißen wurde. Wir sind eure Beschützer im irdischen Leben und im Jenseits … “
Sure:41, Verse 30-31
“Wisset, dass über Gottes Schützlinge keine Furcht kommen wird, noch sollen sie traurig sein.”
Sure:10, Vers 63
An diesem Punkt erscheinen ihnen weltliche Freuden, Sorgen, Erfolge und Misserfolge als gleich, und da sie eine neue Existenz gefunden haben, sehen sie die Welt und alles, was in ihr ist, in einem neuen Licht.
Der Qur’an sagt:
“Kann wohl einer, der tot war und dem Wir Leben gaben und für den Wir ein Licht machten, um damit unter den Menschen zu wandeln, dem gleich sein, der in Finsternissen ist und nicht daraus hervorzugehen vermag? ..”
Sure: 6, Vers 122
Und am Ende gehören sie und alles, was sie besitzen, Gott, und Gott wird ihnen auch alles zur Verfügung stellen; denn “Wer Gott nahe ist, dem ist Gott nahe.”
Schlussfolgerung
Unsere Diskussion hat verdeutlicht, dass das spirituelle Leben im Islam einen weiteren Rahmen hat und tiefgründiger ist als das, was man in anderen Religionen vorfindet, denn, wie bereits erklärt wurde, hat der Islam in seiner Umfassenheit detaillierte Richtlinien für alle möglichen Situationen des menschlichen Seins, sei es im Hinblick auf diese Welt oder die nächste, festgelegt; und in seinem Flug nach oben und in seiner Tiefe zielt er ab auf ein Ziel, das über das anderer Glaubensbekenntnisse hinausgeht.
Biographie des Autors
“Allamah Sayyid Muhammad Husayn Tabataba’i (1892-1981) wurde 1271 n. H. solar/1892 n. ehr. in Tabriz in eine Gelehrtenfamilie geboren. Im Alter von fünf Jahren verlor er seine Mutter, und mit neun seinen Vater. Sein Vormund gab ihn und seinen jüngeren Bruder in die Obhut eines Dieners und eines Hausmädchens. Kurz nach dem Tod des Vaters wurden sie in die Grundschule eingeschult und besuchten dann die Hauptschule. Schließlich wurde ihre Schuldbildung einem Tutor anvertraut, der Hausbesuche machte; auf diese Weise lernten sie sechs Jahre lang persisch und grundlegende Schulfächer.
1297/1918 begann er mit dem Theologie- und Arabischstudium. Sieben Jahre lang studierte er Grammatik, Rhetorik, Rechtsprechung, Rechtsprinzipien, Logik, Philosophie und Theologie.
1305/1925 reiste er nach Najaf, um den Unterricht von Ayatollah Scheich Muhammad Husayn Esfahani zu besuchen. Unter seiner Führung machte er einen Kurs in Rechtsprinzipien, der ca. sechs Jahre in Anspruch nahm und für ca. vier Jahre einen Kurs in Rechtsprechung. Etwa sieben Jahre lang studierte er Rechtsprechung bei Ayatollah Na’ini und führte unter seiner Leitung einen Kurs über die Prinzipien des Gesetzes durch. Er studierte Rechtsprechung auch bei Ayatollah Hoggat Kühkamari, Im Bereich der Philosophie hatte er das große Glück, bei den angesehensten Philosophen jener Zeit, Sayyid Husayn BaÅNdkübi, studieren zu können. Im Verlauf der sechs Jahre, in denen er sein Student war, studierte er Sabzawaris Monzüma, Mulla Sadras Asfar und Masahir, Ibn Sinas Schifa, Ibn Tarkas Tamhid, und Ibn Musküyas Ahlaq. Aus dem großen Interesse, das Sayyid Badkubi seiner Erziehung beimaß, um seine Begeisterung für die Philosophie mit einer Bekanntschaft mit eine rigorosen Denkstil zu unterstützen, wies er ihn an, Mathematik zu studieren. Um dieser Anweisung gerecht zu werden, besuchte er den Unterricht von Sayyid Abolgasern Khonsari, einem großen Mathematiker. Bei ihm studierte er auch analytisches logisches Denken, und alle Bereiche der traditionellen Mathematik.
Wegen Schwierigkeiten hinsichtlich der Finanzierung seines Lebensunterhalts war er gezwungen, 1314/1935 -in seinem Geburtsort Tabriz zurückzukehren. Dort lebte er gut zehn Jahre, die er als eine Zeit der spirituellen Leere ansah, denn er wurde durch das unvermeidbare Engagement und sozialen Kontakte, die mit dem Verdienen des Lebensunterhalts durch Landwirtschaft einhergingen, von Lehre und Nachdenken weitgehend abgehalten.
1325/1946 ließ er diese Situation hinter sich und siedelte nach Qum um, wo er seine Lehrtätigkeit wieder aufnahm.
Natürlich hat jeder in seinem eigenen Leben schöne und bittere Tage erlebt. “Allameh Tabataba’i fand sich in unterschiedlichen Umgebungen allen Arten von Launen des Schicksals gegenüber, insbesondere weil er die meiste Zeit seines Lebens als eine Waise oder ein Fremder oder fern von seinen Freunden oder mittellos oder mit anderen Schwierigkeiten verbracht hat. Er fühlte jedoch immer, dass eine unsichtbare Hand ihn vor einem schrecklichen Abgrund bewahrt hatte und dass ein geheimnisvoller Einfluss ihn über tausend Hindernisse hinweg in Richtung zum Ziel geführt hat.
In Qum begann er zu unterrichten, indem er sich auf den Qur’ankommentar, die traditionelle islamische Philosophie und die Theosophie konzentrierte, die dort seit vielen Jahren nicht mehr gelehrt worden war. Seine interessante Persönlichkeit und geistige Erscheinung zogen bald einige der intelligentesten und kompetentesten Studenten an, so dass die Lehren von Mulla Sadra allmählich wieder zu einem Eckpfeiler des traditionellen Curriculums wurden.
Er unternahm häufig Reisen nach Teheran, wo er junge Iraner mit moderner Bildung unterrichtete, denn nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Marxismus in Mode kam, war er der einzige Religionswissenschaftler, der die philosophische Basis des Kommunismus studierte und aus traditioneller Sicht eine Antwort auf den dialektischen Materialismus gab. Es fanden regelmäßige Sitzungen statt, die von einer ausgewählten Gruppe Iraner und in der Herbstzeit von Henri Corbin besucht wurden, und in denen die grundlegendsten und drängendsten geistigen und rationalen Probleme diskutiert wurden. Dabei wurden nicht nur die klassischen Texte Göttlicher Weisheit und der Gnosis studiert, sondern auch vergleichende Gnosis, wobei die heiligen Texte der Hauptreligionen wie die Upanischaden, das Johannesevangelium usw. diskutiert und mit dem Sufismus und den gnostischen Doktrinen des Islam verglichen wurden.
Zusätzlich zu einem anspruchsvollen Programm von Unterricht und Lehre hat “Allamah Tabataba’i zahlreiche Schriften verfasst, die seine große Bedeutung in und für die islamische Welt und die islamischen Wissenschaften bezeugen.
Quelle:
© Institut für Human- und Islamwissenschaften e.V.
Dialog Zeitschrift für Interreligiöse und Interkulturelle Begegnung
Jahrgang 8 • Heft 15 und 16 • Jahr 2009.